Selfies im All oder: Wie neue Technologien die Kultur verändern

Im Südwesten der Republik steht das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien­technologie Karlsruhe. Am 9. Dezember wurde diese weltweit renommierte Institution für mich zur Spielfläche für Diskussionen, Erkenntnis und Inspiration.

Das ZKM und das Auswärtige Amt luden gemeinsam zum internationalen Symposium „Kultur 4.0 – Now loading?“, bei dem ich eine Keynote halten durfte. Da traf der Gründer der Netzpartei Argentiniens, Santiago Siri, auf den Kurator der Ausstellung „gameplay“, Stephan Schwingeler. Da schoss Antje Lange von den altehrwürdigen Pinakotheken ein Rembrandt-Selfie auf die ISS. Da rief Frank Tentler zur Ungeduld gegenüber Digitalverweigerern auf und Julia Grosse mixte Bild- und Videokunst aus Afrika auf dem großen Screen. Alle Referenten teilten ihre Ideen, wie sich Kultur auch digital vermitteln lässt – gerade in Zeiten der zunehmenden Legitimationskrise von Museen, Philharmonien und Co.

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Was mich freut: Es fällt mir schwer, einzelne Projekte hervorzuheben. Dafür haben mich zu viele der Beispiele begeistert, weil: hoch kreativ, messbar wirksam – und oft genug mutig unter dem Radar oder mit kleinsten Budgets realisiert. Trotzdem sind mir ein paar Eckpunkte wichtig. Diese hier:

Das Feuilleton-Versagen

Egal ob digital gestaltet oder vermittelt: Die vorgestellten Best Practices belegen, dass es in Deutschland eine rege Netzkultur gibt. Und die schafft es nicht nur, eine digitale Community zu versammeln, sondern sie auch analog vor Ort zu aktivieren und zu engagieren – wie beim Kultur-Hackathon „Coding Da Vinci“, beim NODE forum oder während der Ausstellung ART BEEKN, die ihre Besucher spielerisch informierte und mit Beacon-Technologie zusammenbrachte. Die Frage ist: Wer informiert über solche Veranstaltungen und ihre zukunftsweisenden Inhalte? Weshalb traut sich kein Kultur-Journalist auf solche Events, berichtet über diese „kulturellen Ereignisse, Entwicklungen und Neuheiten“ (Definition von „Feuilleton“ laut Wikipedia).

Marode Verantwortungsstrukturen

Es muss diskutiert werden. Über das bestehende Verantwortungsvakuum. Zwischen den Menschen, die dem Digitalen offen gegenüber stehen und damit gestalten wollen und den Menschen, die das Digitale grundlegend ablehnen – und meist noch Macht-Positionen besetzen. Sie blockieren nicht nur im Kulturbetrieb, dort aber mit großer Beharrlichkeit. Es muss also diskutiert und überzeugt und mitgenommen werden. Sowohl in kleinen Schritten, die Ängste nehmen, als auch mit deutlichem Verweis darauf, welche Chancen verpasst werden. Und darauf, was international bereits gedacht und getan wird in Sachen digitaler Kulturvermittlung.

Win-win: Politik und Technologieoptimismus

Die Netzkultur fordert in ihrer Bandbreite immer wieder politische Akteure und Entscheidungen heraus. Und das ist gut so. In vielen Gesprächen bestätigt sich mein Eindruck, dass digital Interessierte und Versierte noch deutlicher erkennen, an welchen Stellen Politik neu denken und handeln muss, wenn es um das Netz geht. Nicht nur als Medium für kulturelle Inhalte, sondern auch als Infrastruktur. Deshalb muss sich der gesamte Kulturbetrieb seiner Wirksamkeit bewusst werden und deutlich für neue Förderprogramme, verbindliche Standards, rechtliche Sicherheit im Bereich Copyright, Open und Remix-Culture sowie Netzneutralität aussprechen – und der Politik mit ihren Mitteln auf die Finger schauen, sie ermahnen, auffordern. Für mehr Technologieoptimismus und Innovationsfreude.

Dialogfähigkeit revisited

Wenn der Vertreter des Auswärtigen Amts mit der Museums-Projektmanagerin spricht und ZKM-Vorstand Peter Weibel (s. Foto) sich zeitgleich mit Goethe-Institut und Newsgame-Produzenten austauscht: Der Dialog zwischen Machern im Kulturbetrieb, Politikern und Kreativen hat bei diesem Event brillant funktioniert. Das ist nicht selbstverständlich. Da wurden Brücken gebaut und es wurde vermittelt, sobald die Sprachen der Beteiligten inhaltlich zu sehr auseinanderdrifteten.

Und wer hat’s erfunden? Julia Jochem, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim ZKM. Chapeau und Kompliment für diese Veranstaltung. Wissenschaftliche Analyse wurde elegant, sinnvoll und anschaulich mit hervorstechenden Erfolgsbeispielen aus der Praxis vereint. Danke für diese Plattform, die Erkenntnisse und für die Einladung.

Disclaimer 1: Da es Rückfragen gab: Ich stelle meine Keynote „DIGITALES – KULTUR – POLITIK. Neue Wege in der Kulturvermittlung“ gerne zur Verfügung.
Disclaimer 2: Zwei der von mir vorgestellten Best Practices (Deutsche Welle und museumsplattform nrw) sind für den „Grimme Online Award“ nominiert bzw. mit diesem Preis ausgezeichnet worden. Seit 2012 bin ich dort Jurymitglied.
Disclaimer 3: Das Best Practice „YouTuber gegen Nazis“ habe ich als Teilnehmerin eines Workshops der bpb – Bundeszentrale für politische Bildung kennengelernt.

Digitaler Zettelkasten™
Die Pinakotheken landen einen Coup und schicken dieses Rembrandt-Selfie von Ai Weiwei über Elvis‘ letzte Ruhestätte in den Weltraum.


Popkulturelles Kontextwissen

Von der PainStation bis zum GameGlitch: Die abendliche Führung durch die leere ZKM gameplay Ausstellung hat nicht nur gute alte Freunde wie den C64, Limbo und Bill Viola im Programm, sondern auch neue Bekannte wie Jodi oder Feng Mengbo und sein hauswandbreit projiziertes Counter-culture-Mash-up-Game „Long March: Restart„, das bereits im MoMA ausgestellt wurde.