Künstliche Intelligenz: Roboter-Revolution, Kreativität und das Ende stupider Arbeit

Künstliche Intelligenz steckt in unseren Smartphones, fährt unsere Autos, berechnet unsere Kreditwürdigkeit und assistiert bei Operationen. Können Algorithmen tatsächlich die Kunst der Intelligenz entwickeln?

Es ist das Jahr 2017. Menschen wählen Parteien, die ihnen schaden, Menschen bekriegen sich und sie hinterlassen den kommenden Generationen massive Ressourcenmängel und Verteilungsasymmetrien. Es gibt genügend Gründe, um an menschlicher Intelligenz zu zweifeln. Zeit also, intelligentes Handeln endlich an Maschinen auszulagern?

Auf der Konferenz „OPEN! 2017“, für die ich die Fach-Moderation übernahm, diskutierten rund 400 Wirtschaftsexperten, Wissenschaftler und Künstler den aktuellen Stand und die Zukunft der Künstlichen Intelligenz (KI). Fazit: Es wird sehr bald sehr ungemütlich, wenn wir die gewohnten Schienen und Systeme nicht rundum erneuern.

KI KIPPT DIE ARBEITSGESELLSCHAFT

Drei Keynotes spannen an diesem 6. Dezember den großen thematischen Bogen, jede auf ihre Weise eindrucksvoll. „Die Piloten der Lufthansa streiken und tun so, als ob es sie in 10 Jahren noch geben würde“, wundert sich Philosoph und Publizist Prof. Richard David Precht. Er beschreibt die KI-gestützte Automatisierung von Arbeit als die größte gesellschaftliche Umwälzung seit 200 Jahren. Das Szenario: massive Freistellung von Arbeit, das Ende der Leistungsgesellschaft as we know it und ohne Zweifel: das bedingungslose Grundeinkommen.

Dass die deutsche Politik nicht darüber spricht, sondern sich parteiübergreifend in gestrigen Diskussion rund um Tüchtigkeit, Vollbeschäftigung und Tariflöhnen verheddert, vergleicht Precht mit dem Umdekorieren der Stühle auf der sinkenden Titanic. Und dieses Bild macht Sinn: Ohne gesamtgesellschaftlichen Diskurs, ohne den Mut und Willen, das Gesellschafts- und damit verbundene Wirtschaftssystem komplett neu zu denken, ohne neue Sinn- und Sicherungsnetze wird die erwartbare Massenarbeitslosigkeit für Sprengstoff, Aufstand, Gewalt sorgen.

Nicht nur die Politik, auch datengetriebene Konzerne von Facebook bis Google bekommen ihr Fett weg: der opake Umgang mit persönlichen Daten sei unsittlich, so Precht, und das dahinter stehende Prinzip der Kybernetik auf Menschen anzuwenden ebenfalls.

KI UND ALGORITHMISCHE VERANTWORTUNG

Von Datensammelwut berichtet auch Dirk Helbing. Der Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich leitet u.a. die Doktorandenschule „Engineering Social Technologies for a Responsible Digital Future“, beforscht also wissenschaftlich, wie sich Digitalisierung und Verantwortung verbinden lassen (müssen).

Dabei schaut Helbing nicht nur auf Europa als neuen, menschenzentrierten KI-Standort, sondern auch nach Asien: Der chinesische Citizen Score wird alle Bürger des Landes umfassend algorithmisch überwachen und mit einem Punktesystem ausstatten – als Datengrundlage dienen Konsumverhalten, soziale Interaktionen und politische Ausrichtung. Was wie eine Folge der dystopischen Serie „Black Mirror“ klingt, soll bereits im Jahr 2020 Realität sein.

Europas Chance verortet Helbing hingegegen in anderen Strategien: Kombinatorische Innovation durch Kooperation. Citizen Science statt Citizen Score. Und verantwortungsvolle Technologien dank quelloffener Daten.

KI ÄRGERT URHEBERRECHT UND DATENSCHUTZ

Dass bestehende Systeme durch Künstliche Intelligenz in Anpassungsdruck geraten, das zeigt sich bei der Expertendiskussion zum Thema „KI – Katalysator oder Feind einer offenen Gesellschaft“, bei denen ich mit fünf Expertinnen und Experten diskutiere.

Wem gehört beispielsweise KI-generierte Kunst? Wer ist Urheber, wenn das Neuronale Netzwerk „DeepBach“ auf Basis von 300 Bach-Chorälen ähnlich klingende, neue Werke generiert? Und an wen werden die Verwertungsgesellschaften wie VG Wort oder die GEMA künftig Tantiemen ausschütten: an den Rechte-Inhaber des Originals, an das Neuronale Netzwerk oder an dessen Programmierer?

Auch der Datenschutz braucht Updates in der KI-Ära. Beispiel Prisma, diese App, die vor einem Jahr Fotos in kleine Kunstwerke verwandelte und ebenfalls auf KI und neuronalen Netzen basierte. Dass weltweit Hundertausende dafür ihre Bilder – gerne Selfies oder Portraits – dem in Russland gehosteten Service überließen und dabei so gut wie alle Bildnutzungsrechte abgaben, ist ein Daten- und Biometrie-Geschenk par excellence.

Von dort bis zur Überwachung im öffentlichen Raum durch Künstliche Intelligenz ist es nur ein Katzensprung. Zu Recht umstrittenes Beispiel ist die Videoüberwachung mit gekoppelter Gesichtserkennung, die aktuell am Berliner Bahnhof Südkreuz durch die Bundespolizei durchgeführt wird. Wer sich fragt, welche Technologie da pauschal die Reisenden erfasst, wie sicher diese Technologie ist oder wo und wie lange die Daten gespeichert und analysiert werden, erhält keine Antworten, kann sich aber mittels Gegentechnologie „CV Dazzle“, einer Anti-Überwachungs-Camouflage, unkenntlich machen.

KI, BILDUNG UND MENSCH ALS LOGISCHES TRIPLE

Deutlich wird in sämtlichen Expertenrunden, Vorträgen und Diskussionen, dass das Bildungssystem einer der Dreh- und Angelpunkte einer KI-verträglichen Zukunft sein muss. Was sollen Menschen mit eingebläutem Wissen auch in einer Welt bewirken, wenn Künstliche Intelligenzen Terabytes an Wissensdaten in Sekundenschnelle abrufen, analysieren und (re-)kombinieren?

Das wird Auswirkungen auf die Bildungsinhalte haben: Kreativität wird zum wichtigsten Lehrstoff und zur wichtigsten menschlichen Ressource. Zeitgleich muss die Didaktik als „Kunst des Lehrens“ sich von extrensischer zu intrinsischer Motivation ändern: Lernende vom Kindheits- bis zum Rentenalter benötigen ein Re-Skilling. Denn wenn die Erwerbsarbeit als primäres Lebensziel wegfällt, dann braucht es Kenntnisse und Methoden, um sich Lebenssinn zu erarbeiten. Soziale und pflegerische Tätigkeiten, handwerkliche und kulturelle Beschäftigungen, bürgerschaftliches Engagement – all das könnte künftig eine neue, angemessene Wertigkeit erfahren.

Wie ein gar nicht mehr so fernes „menschenfreundliches Roboterzeitalter“ aussehen kann, zeigt in der letzten Keynote Dr. Martina Mara. Sie leitet am ArsElectronica Futurelab den Forschungsbereich RoboPsychology und beleuchtet eindrucksvoll, wie Menschen und Künstliche Intelligenzen in Zukunft sinnvoll zusammenarbeiten können.

Kommen wir nach diesem wohltuend interdisziplinären Tag zurück zur Eingangsfrage: Können Künstliche Intelligenzen die Kunst der Intelligenz entwickeln? Meine Lieblingsantwort eines Informatikstudenten: „Definieren Sie erstmal ‚Intelligenz‘.“

Digitaler Zettelkasten™

Algorithmen und Ethik, das sind sollten zwei Seiten einer Medaille sein. Ein Projekt namens „Algorithmenethik“ thematisiert die Verantwortung, die jedem algorithmischen System inhärent ist. Interessant aber, dass ein derart wichtiges Vorhaben zu einem Schlüsselthema unserer Zukunft nicht universitär entwickelt und eingebettet ist, sondern bei einer privatwirtschaftlichen Stiftung liegt.


Popkulturelles Kontextwissen

Als Zukunftsszenario ist Künstliche Intelligenz fester Bestandteil unserer Kultur: Isaac Asimov goß beispielsweise die „Robotergesetze“ in Zeilen und filmisch verhandeln diverse Kinoproduktionen zukünftige KI-Welten – mal mehr, mal weniger dystopisch. In seinem Werk „2001: Odyssee im Weltraum“ antizipierte Stanley Kubrick, wie sich die neurotische KI „HAL 9000“ gegen die eigene Abschaltung wehrt. Und in der gefeierten Sci-Fi-Wiederauflage „Blade Runner 2049“ steht der Hauptfigur als Freundin eine künstliche Intelligenz zur Seite. Die Inszenierung als quasi-perfektes Hologramm? Durchaus kritikwürdig.

 

Wenn das die KI-generierte Zukunft der Musik ist, können Künstler aufatmen: Einer Künstlichen Intelligenz verfütterte die Universität von Toronto große Datensätze mit Weihnachtsliedern. Wurde ihr anschließend ein Bild eines Weihnachtsbaums samt Geschenkeberg gezeigt, komponierte sie ein „passendes“ Lied. Das Ergebnis? Ehem