Destination Games: Stand und Zukunft der digitalen Spiele-Industrie

Dass die globale Computerspiel-Industrie ein maßgeblicher Innovationstreiber unserer Zeit ist, daran zweifelt niemand, der sich mit digitaler Ökonomie auskennt: Games sind Technologie-Vorreiter, Kreativfaktor und Wachstumsbooster in einem. Und doch steht diese noch junge Branche im Jahr 2016 vor großen Herausforderungen. Quo vadis, Games?

„Games sind beliebter als Weißbrot.“ Ein denkwürdiger Satz, der im Publikum ein breites Lächeln und einige Fragezeichen hinterlässt. Wir befinden uns auf dem Kongress „Games & Ausbildung 2016“, es ist der 6. Dezember. Etliche Referenten und rund 250 Teilnehmende haben sich eingefunden, um über die Computer- und Videospiel-Industrie zu sprechen. Genauer: über den Games-Arbeitsmarkt und Karrierewege, über den Nachwuchs und eine zeitgemäße Ausbildung, über aktuelle Hochschulthemen und neue Technologien.

Denn das Interesse an einem Job in der Games-Branche ist nach wie vor ungebrochen. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für Game Designer, Developer, Producer und Gründer scheinen rosig, steigen die Wachstumszahlen in diesem relativ jungen Wirtschaftszweig doch Jahr um Jahr: Um 4,5 Prozent wuchs die deutsche Spielebranche in 2015 und erwirtschaftete dabei mit 2,81 Milliarden Euro mehr Umsatz als die Fußball-Bundesliga (Saison 2014/2015).

Und doch gelten die vergangenen Monate als echte Krisenzeit der hiesigen Games-Wirtschaft. Weshalb? Und was tun? Diese Fragen und mögliche Lösungen standen im Mittelpunkt des zweitägigen Kongresses, den ich als Fach-Moderatorin begleitete.

Harte Ernüchterung oder Markt-Anpassung?

Werfen wir zuerst einen Blick auf das Jahr 2016 und auf die Berichterstattung, wird der Grund für die Krisenstimmung schnell klar: Eine veritable Entlassungswelle hat die Branche erschüttert. Die Hamburger Goodgame Studios kündigen über 100 Mitarbeitern, die Berliner Spieleschmiede Wooga entlässt 40 Mitarbeiter, der Karlsruher Games-Pionier Gamesforge schließt seine Mobile-Games-Sparte und die Frankfurter Instanz Crytek scheint aktuell ebenfalls in schwierigen Gewässern zu sein.

All dies sind Unternehmen, die in Deutschland lange Zeit als Erfolgsgaranten gehandelt wurden, für Wachstum standen. So divers die Geschäftsfelder der Firmen sind, so beunruhigend ist dabei jede neue Meldung über „betriebsbedingte Kündigungen“ oder „Geschäftsbereich-Umstrukturierungen“ – zeigen sie doch, dass die gesamte Branche angeschlagen ist.

Kongress "Games & Ausbildung 2016" Diskussion

It’s the story, business case and guts, stupid!

Ob man die aktuellen Erschütterungen nun als Wachstumsschmerzen, strukturelles Versagen oder Gesundschrumpfen einordnet: Es lohnt sich, auch einmal aus der Perspektive des Nachwuchses auf die deutsche Games-Wirtschaft im Jahr 2016 zu schauen.

Genau diese Sichtweise nahmen im „Games und Ausbildung“-Eröffnungspanel drei langjährige Branchen-Experten ein: Über Gründe und mögliche Wege aus der Krise diskutierten Björn Bartholdy (Professor an der Fakultät für Kulturwissenschaften der TH Köln und Direktor des Cologne Game Lab), Thorsten Hamdorf (Leiter Services, Marktforschung & Marketing beim Branchenverband BIU) und Stephan Reichart (Geschäftsführer der Aruba Events GmbH).

Drei Aspekte bestimmten die konzentriert geführte Debatte:

  • Qualitätscontent

Die Story muss zurück in den Mittelpunkt rücken, gutes Storytelling muss erneut integraler Schwerpunkt in der Produkt-Entwicklung werden. Nur durch neue, überraschende und qualitativ hochwertige Inhalte lassen sich erfolgreiche Geschäftsmodelle im B2C-Segment aufbauen – und diese zumindest mittelfristig halten.

Im Umkehrschluss tun Hochschulen gut daran, dem Nachwuchs noch besser diese gefragten Narrations-Kompetenzen zu vermitteln. Denn dieses Handwerk wirkt nachhaltiger erfolgreich als jede neue Technologie und jeder neue Hype. Entsprechend kritisch sahen die Experten neue Studiengänge, die ausschließlich Tech-Trends wie VR thematisieren, anstatt sie im erzählerischen Gesamtkontext einzubetten und zu vermitteln.

  • Geschäftsmodell

Back to the roots ist aber nicht nur in Sachen Storyqualität angesagt. Rückbesinnen müsse sich die deutsche Games-Branche auch auf tragfähige Geschäftsmodelle. Massenhaft auf das Geschäftsmodell Free-to-Play zu setzen, auf die damit oft verbundenen aggressiven Monetarisierungsmethoden für kurzfristig erzielte Gewinne bewerteten die Experten als Fehler. Denn zum Opfer fiele bei diesem Geschäftsmodell das, was deutsche Games einmal ausmachten und künftig wieder ausmachen sollen:

Eine fesselnde Geschichte, eine schlau aufgesetzte Narration. Nur damit könne der Games-Standort Deutschland im globalen Aufmerksamkeitswettbewerb bestehen und sich gegen die aktuelle Dominanz einiger großer, zeitintensiver Titel durchsetzen. (Nicht überall wird die Monetarisierung durch Free-to-Play so kritisch gesehen, aber seit Jahren wird das Thema innerhalb der Games-Branche kontrovers diskutiert und der Nachwuchs entsprechend sensibilisiert.)

  • Gründerwillen

Neben dem Ruf nach inhaltlicher Qualität und geschäftlicher Nachhaltigkeit zielten die Experten schließlich immer wieder auch auf ein strukturelles Problem in der Ausbildung: Mut, Gründungswillen und Gründungswissen. Mit jeder Entlassungwelle werden Fachkräfte auf den Jobmarkt gespült, die meist deutlich mehr Erfahrung vorweisen als Absolventen der Games-Hochschulen und -Akademien. Die Konkurrenz ist groß, die offenen Stellen begrenzt.

Der richtige Zeitpunkt also, um sich noch während der Ausbildung mit dem Thema Gründung auseinanderzusetzen. Der Nachwuchs schafft sich auf diesem Weg nicht nur eigene Arbeitsplätze. Gleichzeitig tragen Gründer frische Ideen und Innovationsfreude in die Branche. An Hochschulen wie dem Cologne Game Lab profitieren Studenten von einer praxisorientierten Ausbildung, die auch Gründungswissen vermittelt. Wichtig sei laut der anwesenden Experten aber auch, sich schon frühzeitig mit Gründungswilligen aus anderen Studiengängen zusammenzusetzen und sich so für das eigene Startup BWL-, Marketing- und weitere Experten ins Start-up-Team zu holen.

Renaissance, Ausblick und Voranschreiten

All diese Aspekte beleuchteten bekannte Akteure der Games-Industrie dann im anschließenden Konferenzteil. Im Track 5 erfuhren die Teilnehmenden beispielsweise im direkten Austausch mit Profis, welche Herausforderungen und Chancen eine Gründung mit sich bringt, wie sich eigene Indie-Projekte sinnvoll mit Beratungstätigkeiten kombinieren lassen und wie der Werdegang und Berufsalltag einer Producerin, eines Marketing-Chefs, eines Game Designers und Game Journalisten konkret aussehen können.

Eines hat der Nachwuchs an diesem Tag jedenfalls bewiesen: Umfassendes Wissen, Neugier, Aufgeschlossenheit und den festen Willen, Games auch weiterhin zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor zu gestalten – eben: beliebter als Weißbrot.

(Zitatgeber des Eingangssatzes war Boris Schneider-Johne.)

Eine englischsprachige Version findet sich bei medium.com.

Digitaler Zettelkasten™

Games als Gesellschaftskritik: Die Spielebranche reagiert verlässlich und schnell auf soziale und politische Geschehnisse. Mit Games wie „Papers, Please“ finden Spieler vermehrt Angebote vor, die sich neuen Diskursen widmen und diese anders beleuchten.
Doch nicht nur in Games werden diese Themen verstärkt aufgegriffen – auch in der Games-Forschung und -Berichterstattung werden Spiele verstärkt unter neuen Gesichtspunkten und vor dem Hintergrund des Zeitgeschehens analysiert. Von der beeindruckenden Dankesrede Ryan Green’s bei den „Game Awards 2016“ bis hin zum neuen Podcast-Projekt „Poor Player„, das sich mit der Darstellung von Armut in Games befasst.

 

Popkulturelles Kontextwissen

Wer jetzt Lust bekommen hat, ein eigenes Indie Game Studio zu gründen, kann sich der Herausforderung vorab auch spielerisch nähern: Das kleine 2D-Arcade-Game Fund it, B.R.U.C.E.! verschafft einen Einblick in den Gründer-Spagat zwischen Programmierung, Finanzierung, Kunden- und Zeitmanagement – inklusive Knüppeln auf der Förder-Piñata und der über allem thronenden Game-Design-Professorin Linda Breitlauch, deren Studierende das Spiel entwickelten.